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Schule und Ausbildung

Präsenz schlägt Online? – Studieren in Zeiten der Pandemie

Schülerin sitzt an einem Tisch, vor ihr ein Laptop und Schreibutensilien. Im Hintergrund sitzen drei weitere Personen, von denen sich eine meldet.
© Colourbox

Während der Corona-Pandemie fanden die Lehrveranstaltungen an deutschen Hochschulen für lange Zeit ausschließlich digital statt. Diese Ausnahmesituation hat Studierende belastet und die Hochschulen verändert. Wie sieht die Zukunft der Lehre aus? Digital oder analog?

 

Als im April 2020 an deutschen Hochschulen das Sommersemester begann, blieben die Seminarräume und Hörsäle geschlossen – und Hunderttausende junge Menschen studierten nun, indem sie tagein tagaus allein zu Hause vor ihren Bildschirmen saßen.

PASCH-Alumni im Online-Studium

Einer von ihnen war der PASCH-Alumnus Domokos aus Ungarn. Der 22-Jährige studiert an der Universität Passau Staatswissenschaften . Sein erstes Semester hat er noch auf dem Campus erlebt, kurz vor dem zweiten ging Deutschland in den Lockdown . Da war er gerade in Ungarn. „Ich konnte erstmal nicht mehr zurück nach Passau“, sagt er. Seine Vorlesungen bestanden von da an aus Texten oder Videos, die er herunterladen und durcharbeiten musste.

Der ehemaligen PASCH-Schülerin Mariana ging es ähnlich. Als sie im Herbst 2020 ihr Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg begann, war diese schon einige Monate geschlossen – und Mariana zu Hause in Kolumbien. „Gut war, dass ich im Lockdown nicht allein in Deutschland saß, sondern bei meiner Familie war“, sagt die 20-Jährige. „Aber es war auch sehr schade. Ich saß den ganzen Tag am Laptop und musste sehr viel lernen.“ Erst neun Monate später konnte sie ihre Universität das erste Mal betreten.

Frau mit braunen Haaren und einem grünen Oberteil in einem Innenraum fotografiert Mariana | © privat

Mariana, wie hast du in der Zeit, als die Vorlesungen nur online waren, andere Studierende kennengelernt?

Allein vor dem Bildschirm studieren

Wie viele andere fanden es auch Mariana und Domokos schwierig, ohne Struktur von außen jeden Tag allein zu lernen. „Es war sehr monoton“, sagt Domokos. „Und man konnte auch immer sagen: Das kann ich ja später noch machen.“ Das ging auch Mariana so. „Manchmal hatte ich keine Motivation, mir jeden Tag stundenlang Videos anzuschauen“, sagt sie. Außerdem habe ihr das Unileben, auf das sie sich so gefreut hatte, sehr gefehlt.

Doch diese Art des Lernens hat auch positive Seiten: „Ich konnte die Videos immer anhalten, wenn ich etwas nicht verstanden habe oder etwas aufschreiben wollte“, sagt Mariana. Auch Domokos hat das geschätzt . „Ich hatte so mehr Zeit, Inhalte auf Ungarisch zu übersetzen, die ich nicht sofort verstanden habe.“ Beide fanden es auch praktisch, dass sie die Videos schauen konnten, wann immer es ihnen passte. Dass Studierende digitale Vorlesungen von überall belegen können, ist ein anderer Vorteil. Domokos hat ihn genutzt: „Als man wieder reisen durfte, konnte ich an Konferenzen teilnehmen und trotzdem mein Seminar besuchen.“

Mariana, was war für dich störend bei den Online-Vorlesungen?

Wie war es für dich, als endlich wieder Vorlesungen vor Ort an der Universität waren?

Seelisch erschöpft

So viele Monate allein am Computer zu verbringen, hat viele Studierende sehr belastet, sie fühlten sich seelisch erschöpft . Für eine Studie der Universität Hildesheim wurden 2.500 Studierende befragt. Zwei Drittel berichteten im Sommer 2021, dass sie innerhalb des letzten Jahres seelische Beschwerden entwickelt haben. Viele Hochschulen meldeten, dass die Nachfrage für psychologische Beratungen enorm gestiegen sei. „Drei, vier Wochen nach Beginn des Lockdowns wurden wir förmlich überrannt “, sagt Psychologin Kerstin Platt, die in der psychologischen Beratungsstelle der RWTH Aachen arbeitet.

Porträtaufnahme einer Frau mit schulterlangen braunen Haaren und einem hellen Oberteil Kerstin Platt | © privat

Was waren die häufigsten Probleme? „Anfangs natürlich die Bedingungen des Lockdowns“, sagt Platt, „auch Einsamkeit, Stress, Motivationsprobleme sowie Probleme, sich zu strukturieren.“ Im zweiten Jahr sei dann die Zahl derjenigen mit einer psychischen Erkrankung wie Depression oder Angststörung gestiegen, so Platt. Die Nachfrage sei auch jetzt noch hoch. „Viele sind durch die verschiedenen Anforderungen, die diese  langanhaltende Situation mit sich gebracht hat, mit der Zeit mürbe geworden . Irgendwann sind die eigenen Kapazitäten erschöpft .“

Mit welchen Anliegen kamen internationale Studierende in die psychologische Beratung, als die Universitäten wegen Corona geschlossen waren?

Wodurch sind die Probleme genau entstanden?

Wie war die Situation bei Ihnen im Sommer 2022?

Neue Kompetenzen durch Online-Lehre

Im Sommersemester 2022 fanden die meisten Lehrveranstaltungen wieder in Präsenz statt – nach vier Semestern weitgehender Distanz. Diese Zeit hat die Hochschulen verändert. „Studierende und Lehrende haben erlebt, was die Digitalisierung alles in der Lehre bewegen kann“, sagt Svenja Bedenlier vom Institut für Lern-Innovation der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. „Sie haben ganz neue Kompetenzen erworben . Zum Beispiel haben viele den Umgang mit zahlreichen digitalen Tools gelernt.“ Allerdings konnten manche Studierende die Situation besser nutzen als andere, nämlich jene, „die eine gute Selbstregulation haben, sich also ihren Tag gut strukturieren können, und die auch eine gute technische Ausstattung samt schnellem Internet haben“, sagt Bildungswissenschaftlerin Bedenlier. Auf diese zwei Aspekte komme es in der digitalen Lehre ganz besonders an.

Porträtfoto einer Frau mit kurzen braunen Haaren und einem grünen Oberteil Svenja Bedenlier | © privat

Blick in die Zukunft: analog, digital und sozial

Die Zeit der Unischließungen hat ganz besonders deutlich gemacht, wie wichtig der soziale Aspekt ist. Das sollte in Zukunft in der Online-Lehre berücksichtigt werden. „Es ist wichtig, dass sich die Studierenden im Online-Kurs untereinander austauschen und dass sie von den Lehrenden persönlich angesprochen werden“, sagt Svenja Bedenlier. „Man sollte das Ziel haben, dass ein Kurszusammenhalt entsteht und niemand sozusagen im Cyberspace verschwindet.“ Zudem müssen die Lernmaterialien die Interaktivität fördern, Texte sollten zum Beispiel mit Fragen verbunden sein, Lernvideos kurz und prägnant und interaktive Elemente, wie kurze Quizabfragen enthalten. Die Studierenden müssten stark eingebunden werden . Allerdings seien Lehrende an Universitäten nicht dafür ausgebildet, mit digitalen Formaten innovativ zu unterrichten. „Es gibt aber mittlerweile an fast allen Hochschulen Einrichtungen , die sie dabei unterstützen“, so Svenja Bedenlier.

Momentan sind Studierende sowie Dozierende einfach froh, wieder im Präsenzbetrieb zu arbeiten. Um sagen zu können, wie sich das Lehren und Lernen verändern wird, sei es noch zu früh, sagt Svenja Bedenlier. Allerdings: „Der Trend wird sicher nicht dahin gehen, dass alles wieder in Präsenz ist wie vor der Pandemie.“ Die digitale Lehre werde einen größeren Teil einnehmen als früher – allerdings als Kombination aus Präsenz- und Digitallehre. Zum Beispiel in der hybriden Form. Das bedeutet: Einige Studierende sind im Seminarraum und andere digital zugeschaltet. „Auf dem Gebiet wird gerade viel experimentiert, da es technisch sehr anspruchsvoll ist“, sagt Svenja Bedenlier. Vor allem in der internationalen Lehre werde digital viel mehr passieren, findet sie. Es werden also viel öfter Fachleute aus der ganzen Welt für Vorträge oder Vorlesungen eingeladen. Ein anderes zukunftsträchtiges Konzept ist das „Blended Learning“. Dabei gibt es innerhalb eines Seminars sowohl analoge als auch digitale Bestandteile. Man trifft sich zum Beispiel alle zwei Wochen im Seminarraum und für die Zeit dazwischen gibt es Videos oder Online-Lernmodule.

Mariana ist überglücklich, dass sie endlich ein normales Unileben hat. Im letzten Semester hatte sie keine einzige Online-Vorlesung. Sie wollte so oft wie möglich an der Uni sein, ihre Freunde sehen und zusammen lernen. Für die Zukunft wünscht auch sie sich aber eine Kombination. „Online hat ja auch Vorteile“, sagt sie. „Das Wichtigste ist aber, dass man auch weiter an die Uni gehen und sich mit anderen austauschen kann.“

die Ausnahmesituation, die Ausnahmesituationen: eine ungewöhnliche Situation
die Staatswissenschaften: Studium, das sich mit der Organisation von Staaten befasst und verschiedene Disziplinen wie Volkswirtschaft und Recht einschließt.
der Lockdown: Mitte März 2020 wurden in Deutschland wegen der Corona-Pandemie die meisten Geschäfte, die Schulen, Universitäten und vieles mehr geschlossen. Außerdem sollten die Menschen zu Hause bleiben und so wenig wie möglich rausgehen.
etwas schätzen: etwas gut finden
eine Vorlesung, Vorlesungen belegen: eine Lehrveranstaltung besuchen, in dem nur die lehrende Person spricht
seelisch erschöpft: hier: psychisch müde; fast keine Hoffnung und keinen Mut mehr haben
die Beschwerden (Pl.): hier: Probleme
überrannt werden: hier: Es kommen mehr Menschen in die Sprechstunde, als es Termine gibt.
überrannt werden: hier: Es kommen mehr Menschen in die Sprechstunde, als es Termine gibt.
die Angststörung, die Angststörungen: verschiedene psychische Probleme, die mit Angst zu tun haben, und auch körperlich Beschwerden bereiten können
langanhaltend: etwas dauert lange an
mürbe werden: hier: Kraft, Energie und Hoffnung verlieren
erschöpft sein: hier: Es ist nichts mehr übrig.
erschöpft sein: hier: Es ist nichts mehr übrig.
weitgehend: fast komplett
Kompetenzen erwerben: neue Fähigkeiten und neues Wissen bekommen
die Selbstregulation: die Fähigkeit eines Menschen, sich selbst zu kontrollieren und gut mit Schwierigkeiten umzugehen
samt: mit; inklusive
berücksichtigen: denken an
prägnant: hier: deutlich; verständlich
eingebunden werden: hier: Die Lehrenden sollten über die Lernmaterialien mit den Studierenden kommunizieren. Die Studierenden sollten Fragen beantworten und es sollte auch möglich sein, Kontakt aufzunehmen.
die Einrichtung, die Einrichtungen: hier: die Abteilung (an der Universität)
technisch anspruchsvoll: Man muss viele technische Dinge beachten und braucht verschiedene technische Geräte.
technisch anspruchsvoll: Man muss viele technische Dinge beachten und braucht verschiedene technische Geräte.