In deutschen Großstädten fehlen Tausende von bezahlbaren Wohnungen. Gerade für viele junge Menschen, die eine Ausbildung machen oder studieren, wird es immer schwieriger, ein Zimmer oder eine Wohnung zu finden. Initiativen mit kreativen Lösungen machen jedoch Hoffnung.
Eine typische Szene in einer deutschen Großstadt: An einem Samstag oder Sonntag steht am Vormittag eine Menschentraube vor einem Wohnhaus und versperrt den kompletten Gehweg. Wer das in Städten wie Berlin, Köln oder München sieht, kann sich sicher sein: All diese Menschen sind hier, weil gleich eine Wohnungsbesichtigung stattfindet. Zwar wird in Deutschland viel gebaut, aber vorwiegend Büros und teure Eigentumswohnungen, sodass es an bezahlbarem Wohnraum mangelt. Deutschland ist ein Mieterland – über die Hälfte der Bevölkerung lebt zur Miete, so der Deutsche Mieterbund, und wiederum die Hälfte davon verfügt nur über ein niedriges Einkommen. Doch für sie werden keine Wohnungen gebaut. Das verdeutlicht der Deutsche Mieterbund an einem Beispiel: Im Jahr 2022 wurden rund 295.000 Wohnungen neu gebaut. Davon waren weniger als ein Drittel klassische Mietwohnungen und weniger als ein Zehntel bezahlbare Sozialwohnungen.
Schwierige Zimmersuche für Studierende
Junge Menschen bekommen den Wohnungsmangel ganz besonders zu spüren. Wie schwierig es ist, auch nur ein Zimmer zu finden, weiß die 21-jährige Türkan. Sie studiert Geografie und Philosophie auf Lehramt in Köln und hat drei Monate lang gesucht. Letzten Endes hat sie eine Notlösung gewählt: ein Zimmer für 450 Euro in einem Dorf in der Nähe von Köln. „Zwar mag ich die dörfliche Ruhe“, sagt sie, „aber es isoliert schon sehr, wenn man studiert“. Sie muss immer mit Bahn und Bus zur Uni pendeln und kann am studentischen Leben größtenteils nicht teilnehmen. Wenn sie abends mal in Köln ausgeht, kann sie den Abend nicht wirklich genießen. „Ich muss immer vor ein Uhr nach Hause, weil dann die letzte Bahn fährt“, sagt sie. Hinzu kommt die Angst, dass die Bahn vielleicht sogar ausfällt.

Türkan | © privat
Wie genau wohnst du in diesem Dorf?
Wie würdest du die Situation für Menschen, die eine Wohnung in Köln suchen, beschreiben?
Wie geht es anderen Studierenden, die du kennst?
Wie lange brauchst du, um nach Köln zu fahren?
Wer ein Zimmer in einem Wohnheim der Studierendenwerke ergattert, hat großes Glück. Sie sind meist zentral gelegen und vor allem günstig. Momentan kostet ein Zimmer im bundesweiten Durchschnitt 305 Euro pro Monat. Allerdings gibt es auch davon viel zu wenige. Nur zehn Prozent der Studierenden können von den günstigen Zimmern profitieren, über 30.000 Studierende stehen deutschlandweit auf der Warteliste, rund 11.000 allein in München. Kein Wunder. Die Landeshauptstadt Bayerns ist bei den Mietpreisen die teuerste Stadt Deutschlands. Ein WG-Zimmer kostet dort im Durchschnitt 800 Euro pro Monat. Der bundesweite Durchschnitt liegt bei 493 Euro. Diese Zahlen stammen vom Moses Mendelssohn Institut (MMI). Es untersucht regelmäßig in Zusammenarbeit mit dem Portal wg-gesucht.de die Wohnkosten in Hochschulstädten mit mindestens 5.000 Studierenden. In diesen Städten sind rund 90 Prozent aller Studierenden eingeschrieben. Die Unterschiede sind teils beträchtlich. In der günstigsten Stadt Chemnitz kostet ein WG-Zimmer zum Beispiel nur 265 Euro. Türkan aus Köln würde sehr gern in der Stadt und näher an der Universität wohnen. Immer wieder schaut sie im Internet nach Zimmern. „Unter 600 oder 700 Euro findet man nichts Vernünftiges“, sagt sie. Eine so hohe Miete kann sie sich nicht leisten. „Jedes Mal gebe ich frustriert auf“, sagt sie. Und pendelt weiterhin – wie viele andere Studierende.
Die fünf teuersten Hochschulstädte in Deutschland

Die fünf teuersten Hochschulstädte in Deutschland | © Moses Mendelssohn Institut GmbH/wg-gesucht.de, 2025
Die fünf günstigsten Hochschulstädte in Deutschland

Die fünf günstigsten Hochschulstädte in Deutschland | © Moses Mendelssohn Institut GmbH/wg-gesucht.de, 2025
Preisentwicklung von WG-Zimmern an verschiedenen Standorten

Preisentwicklung von WG-Zimmern an verschiedenen Standorten | © Moses Mendelssohn Institut GmbH/wg-gesucht.de, 2025
Bezahlbare Mietwohnungen dringend gebraucht
Bundesweit fehlen momentan mehr als 550.000 erschwingliche Mietwohnungen, besonders für Menschen mit geringem oder mittlerem Einkommen. In den Ballungsräumen ist der Mangel besonders groß. Die Folgen sieht man dort seit Jahren: Die Mieten steigen immer weiter, Familien wohnen in viel zu kleinen Wohnungen, weil sie keine größere finden, jungen Menschen bleiben bei ihren Eltern und pendeln zum Ort ihrer Ausbildung.
Und es gibt viele Menschen, die zum Beispiel wegen Arbeitslosigkeit oder persönlichen Schicksalsschlägen ihre Wohnung verlieren und keine neue mehr finden. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes hatten 2024 rund 531.600 Menschen in Deutschland keine Wohnung, rund 40 Prozent davon sind jünger als 25 Jahre. Viele dieser Menschen leben in Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe, in Unterkünften für Geflüchtete oder bei Freunden und Verwandten. Rund 47.000 Menschen leben auf der Straße und gelten als obdachlos.
Dass dringend mehr bezahlbare Wohnungen gebraucht werden, darüber wird seit Jahren in den Medien und der Politik diskutiert – gebaut werden allerdings nur sehr wenige. Das Bauen ist zu teuer, heißt es, die vorgeschriebenen Standards sind zu hoch und die Bürokratie zu groß.
Einige Initiativen sehen dieser Misere aber nicht tatenlos zu und helfen jungen Menschen dabei, bezahlbaren Wohnraum zu finden. So vermittelt „Wohnen für Hilfe“ zum Beispiel zwischen älteren Menschen, die oft allein in zu großen Wohnungen leben, und Studierenden auf Wohnungssuche. Die Idee: Die Älteren vermieten ein Zimmer, die Studierenden ziehen ein und unterstützen sie im Alltag. Beide Seiten profitieren – und ganz nebenbei entsteht ein wertvoller Austausch zwischen den Generationen. Die Initiative gibt es in vielen Städten, in einigen unterstützen sogar die Studierendenwerke das Konzept, beispielsweise in München, Freiburg oder Münster.
Collegium Academicum – ein Wohnprojekt in Heidelberg
In der Universitätsstadt Heidelberg haben junge Menschen im Projekt Collegium Academicum neuen Wohnraum für rund 250 Personen selbst geschaffen. Auf einem ehemaligen Militärgelände im Süden der Stadt haben sie ein altes Gebäude renoviert und daneben ein Wohnheim bauen lassen. Die Architektur und die Art des Wohnens sind außergewöhnlich: Hier wohnt man gemeinschaftlich, auf wenig Raum und selbstverwaltet. Hinzu kommt: In der Aula des Wohnheims finden auch Vorträge, Tagungen und Filmabende statt. Allerdings war es ein langer Weg: Über zehn Jahre hat es von der Idee bis zur Fertigstellung der Sozialwohnungen und des Wohnheims für Auszubildende und Studierende gedauert.

Lukas | © privat
Im Februar 2023 zogen die ersten in das komplett neue Wohnheim ein. Einer von ihnen ist Lukas Hesche. Er ist 26 Jahre alt und studiert Sonderpädagogik. Davor hatte er in einer Zweck-WG gelebt, erzählt er. „Ich hatte mir aber schon immer mehr Gemeinschaft gewünscht.“ Vom Collegium Academicum erfuhr er von einer Kommilitonin, schaute sich die Baustelle Anfang 2022 an und begann danach, im Projekt mitzuarbeiten. Jetzt ist er Teil der Arbeitsgemeinschaft, kurz AG, Öffentlichkeitsarbeit, das bedeutet, dass er mit Journalistinnen und Journalisten über das Projekt spricht. Denn selbstverwaltet heißt nicht nur, dass alle mitbestimmen können, sondern auch, dass alle Aufgaben übernehmen. Weitere AGs sind zum Beispiel Finanzierung, IT oder Werkstatt. „Schon im Bewerbungsformular fragen wir die interessierten Personen, ob sie sich auch engagieren möchten“, sagt Lukas. „Wir wollen Leute, die wirklich Lust auf das Projekt haben.“
Wie würdest du die Lage von jungen Menschen beschreiben, die in Heidelberg ein Zimmer suchen?
Ihr betreibt das Wohnheim selbstverwaltet. Was bedeutet das genau?
In eurer Gemeinschaft ist ja das Plenum sehr wichtig. Was macht ihr da?
Was macht ihr noch gemeinsam?
Das Collegium Academicum hat nicht nur neuen, sondern auch effizienteren Wohnraum geschaffen, eine Person benötigt weniger Fläche als gewöhnlich. „Wir reduzieren baulich gesehen die Pro-Kopf-Wohnfläche“, sagt Lukas. Zwar fehlen in Deutschland viele Wohnungen, laut Statistischem Bundesamt wohnen die Deutschen aber auf durchschnittlich 47 Quadratmetern pro Person. Im Wohnheim des Collegium Academicum mietet jede Person ein Zimmer von 14 Quadratmetern. Außerdem haben die Wohnungen der unterschiedlichen WGs verschiebbare Wände. Jede Person kann entscheiden, ob sie 14 Quadratmeter für sich allein möchte oder ob ein kleineres Zimmer von sieben Quadratmetern reicht. Denn dann wird der Gemeinschaftsbereich für alle größer. Lukas hat sich für das kleine Zimmer entschieden und verbringt somit mehr Zeit im gemeinsamen Wohnbereich. „Wir sitzen dort öfter gemeinsam mit unseren Laptops und machen etwas für die Uni“, sagt er. „Das war in meiner WG früher anders. Dort saß ich viel in meinem großen Zimmer und habe meine WG-Mitbewohner nur mal zufällig auf dem Flur gesehen.“