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Sport und Gesundheit

Der Boom der digitalen Fitness-Angebote

Ein Sportler absolviert in einem Fitnessstudio ein Cybertraining.
© picture alliance / dpa Themendienst

Immer mehr Menschen nutzen Online-Angebote und Apps, um fitter, gesünder oder schlanker zu werden. Sie zählen zum Beispiel die Schritte, die sie am Tag zurücklegen. Sie messen ihr Tempo beim Joggen oder kontrollieren, ob sie genug Vitamine zu sich nehmen.

„Sport ist mir wichtig. Ich möchte vor allem meine Kraft und Ausdauer stärken“, sagt Henning aus Berlin. Wenn er joggen geht, ist er mit einer Lauf-App unterwegs. Sie misst die Länge der Strecke, die er zurückgelegt hat, und die Zeit, die er dafür gebraucht hat. Die Ergebnisse kann der 18-Jährige mit anderen Nutzern teilen. Praktisch für Henning: „Ich schicke meine Werte immer direkt an meinen Bruder, das ist so ein kleiner Wettbewerb zwischen uns.“ Seine Muskeln trainiert Henning nicht nur im Sportstudio, sondern auch zu Hause – mit Hilfe von Online-Tutorials und YouTube-Videos. Dank der Online-Coaches kennt Henning inzwischen alle unterschiedlichen Formen von Liegestützen und weiß, wie man Trizeps, Brust- und Schultermuskeln stärkt.

Henning, Portrait Henning | © Elisabeth Schwiontek

Seine Erfahrung: „Professionell gemachte Videos sind ein guter Einstieg. Man macht die gezeigten Übungen mit und bricht dann nicht einfach nach der Hälfte ab. Das steigert die Disziplin und die Motivation.“ Henning nutzt außerdem eine Ernährungs-App. „Ich gebe ein, was ich esse. Die App rechnet die Kalorien- und Nährwertangaben aus. Wenn ich sehe, dass ich an dem Tag zum Beispiel zu viel Salz oder zu wenig Eiweiß gegessen habe, kann ich darauf bei der nächsten Mahlzeit reagieren. Das ist wie eine mathematische Spielerei.“ Hennings Fazit: Die App hilft bei einer bewussten Ernährung, hat aber auch Grenzen. „Morgens meine Stulle abwiegen, um die App mit den richtigen Daten zu füttern? Dafür habe ich keine Zeit.“

Henning (18) über seine Erfahrungen mit Online-Tutorials und Ernährungs-Apps

57 Prozent nutzen Fitness- oder Gesundheits-Apps

Der sportliche Berliner gehört zu den 57 Prozent der Deutschen, die Fitness- oder Gesundheits-Apps nutzen. 33 Prozent der Menschen in Deutschland sind bereit für solche Apps Geld auszugeben. Die Zahlen stammen aus einer 2015 durchgeführten repräsentativen Studie der Versicherungs­gesellschaft Hannoversche.

Klar ist: Der digitale Gesundheitsmarkt boomt. Nicht nur Apps verkaufen sich gut, sondern auch Fitnesstracker. Das sind Armbänder oder Clips, die man an der Kleidung befestigen kann. Die Fitnesstracker sind mit Sensoren ausgestattet. Sie messen zum Beispiel den Herzschlag, zählen die Schritte oder den Kalorienverbrauch des Nutzers. Es gibt auch Fitnesstracker, die Schlafphasen aufzeichnen und erfassen, wann der Nutzer besonders tief und fest schläft oder ob er im Schlaf spricht. Aus diesen Daten errechnen die dazugehörigen Apps dann sinnvolle Aussagen.

Die eigenen Körperwerte genau zu erfassen, gehört inzwischen zum Alltag vieler Menschen in Deutschland. Dafür gibt es vier Gründe. Erstens: Die Deutschen achten immer mehr auf ihre Gesundheit und Fitness. Zweitens sind Smartphones mittlerweile weit verbreitet. Und drittens ist es in den vergangenen Jahren immer billiger geworden, die Sensoren, die bestimmte Werte messen, herzustellen. Der vierte Grund: Es sind digitale Technologien entwickelt worden, die Daten sammeln und optisch aufbereiten können. Die Ergebnisse lassen sich bequem per Smartphone abrufen und die Nutzer können ihre Trainingsergebnisse oder Schlafphasen als bunte Kurven und Diagramme betrachten.

9.000 Schritte für eine Packung Schokokugeln

„Eine tolle Funktion“, sagt Christine Graf von der Deutschen Sporthochschule Köln. Die Sportwissenschaftlerin findet, dass Fitness- und Gesundheits-Apps, die die Bewegung, das Essverhalten oder bestimmte Körperwerte des Nutzers aufzeichnen und darstellen, eine gute Erfindung sind. „Wir arbeiten an unserem Institut viel mit übergewichtigen Kindern. Auf ihrer App sehen sie zum Beispiel, dass sie 9.000 Schritte machen müssen, um die Kalorien, die sie mit einer einzigen Packung Schokokugeln zu sich nehmen, wieder zu verbrauchen. Das beeinflusst ihr Verhalten.“ Dass Fitness- und Gesundheits-Apps nützlich sind, ist sogar wissenschaftlich nachweisbar, sagt Christine Graf. „Allerdings gibt es eine wichtige Einschränkung. Nur qualitativ hochwertige Angebote haben einen Nutzen, und genau da liegt auch das Problem. Es gibt Tausende von Apps. Wie sollen sich Hobby-Sportler oder kranke Menschen, die ihre Körperwerte kontrollieren möchten, in diesem Dschungel orientieren?“ Die Sportwissenschaftlerin fordert deshalb Qualitätsstandards für digitale Fitness-und Gesundheitsangebote, die für alle Menschen nachprüfbar sind.

Kritik an der digitalen Selbstvermessung

Simon, Portrait Simon | © Elisabeth Schwiontek

Immer mehr Menschen wollen sich mit Hilfe digitaler Technik selbst optimieren. Simon gehört nicht dazu. Der 25-jährige Ingenieur für Medizintechnik ist beruflich viel mit dem Auto unterwegs. Zum Ausgleich geht er regelmäßig ins Fitnessstudio und spielt Tennis. Beim Joggen hat er auch schon Fitness-Apps ausprobiert und seinen Puls gemessen. „Das hat mich aber nur abgelenkt. Ob man will oder nicht, ständig schaut man auf den Bildschirm und stolpert dann vielleicht über eine Baumwurzel oder rennt gegen eine Laterne.“ Es ist auch gar nicht wichtig, ständig den eigenen Puls zu beobachten, stellt Simon fest. „Ich fühle ja selbst am besten, wie mein Körper arbeitet. Dieses Gefühl möchte ich nicht an ein Gerät abgeben.“

Simon (25) über seine Erfahrungen mit Fitness-Apps

Auch Datenschützer kritisieren die digitale Selbstvermessung. Sie warnen davor, persönliche Daten sorglos weiterzugeben. Ob man die erfassten Werte mit Facebook-Freunden oder der Twitter-Öffentlichkeit teilt, kann jeder selbst entscheiden. Anders ist es allerdings mit den Informationen, die die App-Anbieter über den Aufenthaltsort und den Gesundheitszustand ihrer Kunden sammeln. Wie seriös die einzelnen Firmen sind und wie ernst sie Datenschutzbestimmungen nehmen, lässt sich nicht so leicht nachprüfen. Deshalb ist nicht auszuschließen, dass Daten der Kunden zum Beispiel an Pharma-Unternehmen oder Krankenkassen verkauft werden.

„Mit all den Häkchen, die man in den Apps so klickt, gibt man seine Daten frei für kommerzielle Interessen. Das ist auf alle Fälle ein Problem“, meint auch der sportbegeisterte Henning aus Berlin. Fitness-Apps findet er trotzdem gut – ebenso wie das Muskeltraining ganz ohne digitale Hilfsmittel: „Ich trainiere gern auch gemeinsam mit Freunden. Man unterstützt sich bei Übungen, die man nicht allein machen kann. Und wir freuen uns alle zusammen, wenn einer seine Leistung steigert. Denn das zeigt ja, dass das Training funktioniert.“

die Ausdauer: hier: die Kraft und Energie, sich lange zu bewegen
teilen: hier: auch andere können die Ergebnisse sehen
das Online-Tutorial, die Online-Tutorials: ein Kurs oder eine Anleitung zu einem bestimmten Thema, den / die man sich im Internet ansieht
der Liegestütz, die Liegestütze: eine sportliche Übung, die die Muskeln an Armen, Schultern und Brust kräftigt
der Trizeps, die Trizepse: ein Muskel am oberen Teil des Arms
die Disziplin: hier: die Fähigkeit, regelmäßig Sport zu machen
die Kalorie, die Kalorien: ein Wert, der etwas über die Menge an Energie aussagt, die man über Lebensmittel aufnimmt oder verbraucht, zum Beispiel beim Sport
der Nährwert, die Nährwerte: ein Wert, der angibt, was in Lebensmitteln enthalten ist, zum Beispiel Energie (Kalorien), Salz, Zucker oder Eiweiß
Grenzen haben: begrenzt sein; hier: man kann die App nicht immer anwenden
Grenzen haben: begrenzt sein; hier: man kann die App nicht immer anwenden
die Stulle, die Stullen: ein belegtes Brot
boomen: sehr populär sein
der Sensor, die Sensoren: Teil eines elektronischen Gerätes, der durch direkte Berührung (zum Beispiel mit der Haut) bestimmte Werte messen kann
zum Alltag gehören: alltäglich sein, im Alltag vorkommen
zum Alltag gehören: alltäglich sein, im Alltag vorkommen
optisch aufbereiten: hier: die Daten so darstellen, dass man sie betrachten und gut verstehen kann
abrufen: hier: die Daten werden über das Internet auf das Smartphone geschickt
übergewichtig: zu dick, zu viel wiegen
die Einschränkung, die Einschränkungen: die Bedingung
qualitativ hochwertig: von hoher Qualität sein
der Dschungel, die Dschungel: hier: das Durcheinander, das Chaos
der Qualitätsstandard, die Qualitätsstandards: ein festgelegter Standard bezüglich der Qualität, eine festgelegte Norm.
sich selbst optimieren: hier: die eigene Gesundheit verbessern
sich selbst optimieren: hier: die eigene Gesundheit verbessern
der Ausgleich, die Ausgleiche: die Balance; hier: Er sitzt viel im Auto, darum möchte er sich in seiner Freizeit mehr bewegen.
der Puls, die Pulse: der Herzschlag, den man durch das Blut an bestimmten Stellen des Körpers fühlen kann
sich ablenken: hier: stören
stolpern: hängenbleiben, hinfallen
der Datenschützer, die Datenschützer: eine Person, die sich darum kümmert, dass die persönlichen Daten der Menschen nicht von Unternehmen oder Regierungen verwendet werden.
sorglos: ohne richtig nachzudenken, sich keine Sorgen machen
der Gesundheitszustand, die Gesundheitszustände: besagt, wie gesund eine Person ist
seriös: hier: ehrlich
ernst nehmen: hier: einhalten, erfüllen
ernst nehmen: hier: einhalten, erfüllen
das Pharma-Unternehmen, die Pharma-Unternehmen: ein Unternehmen, das Medikamente und medizinische Produkte herstellt
die Krankenkasse, die Krankenkassen: eine Versicherung, die die Kosten für die Behandlung von Krankheiten übernimmt
das Häkchen, die Häkchen: hier: Man muss bestimmten Bedingungen in den Apps zustimmen, bevor man sie benutzen kann. Das tut man meistens, indem man in ein kleines Feld klickt. Dann erscheint dort ein Häkchen für „Ja, ich stimme zu“.
kommerziell: wirtschaftlich; hier: Die Unternehmen hinter den Apps wollen mit den Daten Geld verdienen.