Elena ist Schwimmerin, Vanessa schießt mit Pfeil und Bogen, Stefan spielt Volleyball. Sie alle trainieren für die Paralympischen Spiele in Brasilien und erhoffen sich vor allem eines: mehr Wertschätzung für den Behindertensport.
1/4 Miteinander in Bewegung – Behindertensport in Deutschland
In Brasilien entsteht 2016 ein
einzigartiges Dorf: das Olympische Dorf in Rio de Janeiro, das alle vier Jahre in einem anderen Land aufgebaut wird. Dort kommen hunderte Leistungssportler aus aller Welt zusammen, die
sich für die Olympischen Spiele
qualifiziert haben. Nachdem die Wettkämpfe
ausgetragen und alle
Medaillen vergeben sind, ist der
Trubel aber noch nicht vorbei. Denn dann finden die Paralympischen Spiele statt, an denen internationale Leistungssportler mit Behinderung teilnehmen.
In Deutschland sind Behindertensport-Wettbewerbe immer wichtiger geworden. „Was Paralympics betrifft, haben wir einen
Quantensprung gemacht, es gibt mehr
Sponsoren, eine professionelle Berichterstattung und allgemein mehr Wertschätzung“, sagt Prof. Thomas Abel von der Sporthochschule Köln, der sich auf Paralympischen Sport spezialisiert hat.
Immer mehr Menschen mit Behinderung haben Freude am Sport und sind Mitglied in einem Sportverein. Die Vereine wiederum sind Mitglied im Deutschen Behindertensportverband (DBS), der dafür sorgen soll, dass es genügend Sportangebote für Menschen mit Behinderung gibt. Der DBS zählt heute über 600.000 Mitglieder, in den achtziger Jahren waren es 100.000. 48 Prozent der Mitglieder des DBS sind über 60 Jahre alt, sechs Prozent im Alter von 15 bis 26 Jahren – das sind ungefähr 36.000 Jugendliche. In Deutschland leben nach Angaben des Statistischen Bundesamts (2013) rund 160.000 Jugendliche im Alter von 15 bis 25 mit einem Schwerbehindertenausweis. Das ist ein Ausweis für Menschen, die körperlich oder geistig so
eingeschränkt sind, dass sie im Alltag besondere Unterstützung von ihren Mitmenschen brauchen.
Gemeinsames Training für mehr Toleranz
In Deutschland gilt die UN-Behindertenrechtskonvention, die sich dafür einsetzt, dass Menschen mit Behinderung genauso an der Gesellschaft teilhaben wie jeder andere auch. Sport ist gut geeignet, um das zu erreichen: Wenn Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam Sport machen, lernen sie einander besser kennen und entwickeln mehr Verständnis füreinander. In einigen Sportvereinen sind daher Menschen mit und ohne Behinderung Mitglied und trainieren gemeinsam eine Sportart. Es gibt auch Vereine für spezielle Behindertensportarten wie zum Beispiel Rollstuhl-Basketball oder Sitzvolleyball, die auch Menschen ohne Behinderung willkommen heißen. „Es ist schön, mit Nichtbehinderten zusammen Sport zu machen, weil sie dann erleben, wie es ist, im Sitzen Sport zu machen – das ist für viele, die beide Beine haben, gar nicht so einfach“, sagt der 26-jährige Sitzvolleyballer Stefan Hähnlein, der für die Paralympischen Spiele in Rio trainiert.
Kontakte knüpfen, Berührungsängste verlieren
Auch Vanessa Bui ist in einem Verein, in dem Sportler mit und ohne Behinderung gemeinsam trainieren. Dort bereitet sie sich das erste Mal auf die Paralympischen Spiele vor. Bei den Wettkämpfen bekommen die Sportler je nach Art und Schwere ihrer Behinderung Hilfsmittel, damit sich die Leistungen vergleichen lassen und die Wettkämpfe so fair wie möglich sind. „Behinderung ist ja nicht gleich Behinderung“, sagt Vanessa. Sie kann mit ihrer Behinderung im Stehen schießen, andere Bogenschützer nehmen einen Hocker zur Hilfe, wieder andere sitzen im Rollstuhl.
Sport kann viel bewegen
In Deutschland gibt es verschiedene Maßnahmen wie zum Beispiel den Schulwettbewerb „Jugend trainiert für Paralympics“, die Nachwuchssportler mit Behinderung fördern sollen. Auch ein Sportstudium ist für Menschen mit Behinderung möglich. „Sport ist ein ideales Mittel, um Grenzen zu definieren, sie zu akzeptieren oder zu verschieben – das gilt für Menschen mit und ohne Behinderung“, sagt Prof. Abel. Das erlebte auch die Schwimmerin Elena Krawzow. Die 23-Jährige hatte anfangs etwas Angst vor dem Wasser, doch dann fasste sie Mut und trat einem Schwimmverein bei. Auch, wenn sie die einzige mit einer Sehbehinderung war, veränderte das Schwimmen im Verein ihr Leben. „Es tat gut, die Leute dort zu treffen, die haben mich sehr gefördert“. In wenigen Jahren entwickelte sie sich zur Spitzensportlerin.
Inklusion im Spitzensport?
Nach den Regeln der Olympischen Spiele dürfen Paralympische Sportler zwar auch an den Wettkämpfen teilnehmen, das Olympische Komitee, das die Olympischen Spiele organisiert und betreut, muss aber ihre Eignung prüfen - und das ist gar nicht so einfach. Das Thema Inklusion sorgt bei den Olympischen Spielen immer wieder für Diskussionen. Der Läufer Oscar Pistorius überholte 2012 mit seinen Beinprothesen zum Beispiel die nichtbehinderten Läufer. Kritiker sagten, ein Läufer mit Prothesen werde damit so schnell, dass Sportler mit Beinen ihn nicht erreichen könnten.
„Zwei verschiedene Paar Schuhe“
Was aber sagen die Sportler selbst dazu? Die Bogenschützin Vanessa Bui hat nichts dagegen, dass ein Sportler mit Behinderung auch an den Olympischen Spielen teilnimmt – vorausgesetzt er kann
sich mit den anderen messen. „Wenn ein Läufer eine Prothese als Hilfsmittel nutzt, ist das aber eine schwierige Entscheidung“, sagt sie. Der Sitzvolleyballer Stefan Hähnlein findet zwar gut, dass Sportler mit und ohne Behinderung gemeinsam Sport treiben, die Olympischen und die Paralympischen Spiele sollten seiner Meinung nach aber weiterhin zwei getrennte Wettkampfveranstaltungen bleiben. Man könne Sportler mit und ohne Behinderung nur schwer miteinander messen. „Wenn ein Behindertensportler so gut ist, dass er bei Paralympics
keine Konkurrenz mehr hat, dann vielleicht. Aber das gibt’s nur selten“, sagt er.
Dieser Meinung ist auch Professor Abel. Würden die Olympischen und die Paralympischen Spiele zu einem Sportereignis
verschmelzen, würde das den Sportlern mit und ohne Behinderung nicht
gerecht werden, meint er. Wenn es aber um Sport in der Schule und der Freizeit geht, sollte man Inklusion seiner Meinung nach weiter stärken: „Wenn wir gemeinsam Sport treiben, lernen wir Wertschätzung gegenüber Menschen, auch, wenn sie andere Voraussetzungen haben.“
Elena ist Schwimmerin, Vanessa schießt mit Pfeil und Bogen, Stefan spielt Volleyball. Sie alle trainieren für die Paralympischen Spiele in Brasilien und erhoffen sich vor allem eines: mehr Wertschätzung für den Behindertensport.
2/4 Elena Krawzow, 23 Jahre, Schwimmerin
ls Kind zog Elena Krawzow mit ihrer Familie von Kasachstan nach Deutschland. In der Schule musste sie ihre Augen
zukneifen, um die Tafel zu erkennen. Die Ärzte fanden heraus, dass Elena „Morbus Stargardt“ hat, eine Erkrankung des Auges, die dazu führt, dass Elena immer weniger gut sehen kann.Zum Schwimmsport ist sie
zufällig gekommen. Eigentlich hatte sie etwas Angst vor Wasser, dann hat sie aber ihre Ängste
überwunden – und zeigte sich schließlich
ehrgeizig und talentiert. In ihrem Verein trainierten eigentlich nur Nichtbehinderte. „Die Leute da haben mich aber unterstützt und so habe ich
mich mit meiner Behinderung abgefunden“, erzählt sie. Wenige Jahre später nahm sie an verschiedenen Behindertensport-Wettbewerben in Deutschland und später auch in anderen Ländern teil. „Das hat mein Leben verändert. Ich habe mich immer weiter bemüht, um noch mehr zu erleben, zu reisen und Menschen kennenzulernen“, sagt sie.
Heute ist sie
Physiotherapeutin und trainiert für die Paralympischen Spiele in Rio. Bei den Paralympics 2012 in London erreichte sie den zweiten Platz im 100-Meter-Brustschwimmen. Auch bei den Europa- und Weltmeisterschaften
erzielte sie
Spitzenplätze.
Elena hat sich in ihrer Sportlaufbahn vieles erkämpft. Sie findet, dass es zu wenig Fördergelder für Behindertensportler gibt: „Gerade die Nachwuchssportler müsste man finanziell mehr unterstützen. Das fehlt in Deutschland noch ein bisschen.“
Elena Krawzow über behinderte und nichtbehinderte Leistungssportler
Kann man Leistungssportler mit und ohne Behinderung miteinander vergleichen?Elena ist Schwimmerin, Vanessa schießt mit Pfeil und Bogen, Stefan spielt Volleyball. Sie alle trainieren für die Paralympischen Spiele in Brasilien und erhoffen sich vor allem eines: mehr Wertschätzung für den Behindertensport.
3/4 Vanessa Bui, 23 Jahre, Bogenschützin
Vanessa Bui trainiert mit Pfeil und Bogen zu schießen, seit sie 14 Jahre alt ist. Sie hat damals nach einer Sportart gesucht, bei der ihre Behinderung sie nicht zu sehr
beeinträchtigt und sie
mit anderen mithalten kann. Vanessa hat eine sogenannte „spastische Diplegie“, eine Störung, die die Bewegung der Beine betrifft. „Beim Bogenschießen kann ich teilweise nicht so
stabil stehen und muss daher besonders meine Beine und
Rumpfmuskulatur trainieren“, erklärt sie.Sie ist in einem Verein, in dem auch Sportler ohne Behinderung trainieren. Durch ihr
Handicap hat sie ein paar Nachteile gegenüber nichtbehinderten Bogenschützen. „Aber ich sage mir einfach, das ist eben so, so sind die Regeln, aber ich mache trotzdem gerne mit“, erzählt sie. Bisher hat sie bei den Weltmeisterschaften 2015 den zweiten Platz und bei den Europameisterschaften 2014 den ersten Platz belegt. Für die Paralympischen Spiele trainiert sie das erste Mal. „Es hat sich so ergeben, dass ich gut geworden bin, dann habe ich mir immer
höhere Ziele gesteckt.“, sagt Vanessa, die, wenn sie nicht Bogenschießen trainiert, Informatik studiert.
Auch, wenn Behindertensport mehr gefördert wird als noch vor 20 Jahren, wünscht sich Vanessa mehr Aufmerksamkeit in den Medien. „Es ist schade, dass es kaum im Fernsehen übertragen wird, wenn zum Beispiel Meisterschaften in Deutschland stattfinden. Ich glaube, da könnte man noch mehr tun, dass der Paralympische Sport einen höheren
Stellenwert bekommt.“ Vanessa Bui über ihre Motivation und den gemeinsamen Sport von Behinderten und Nichtbehinderten
Elena ist Schwimmerin, Vanessa schießt mit Pfeil und Bogen, Stefan spielt Volleyball. Sie alle trainieren für die Paralympischen Spiele in Brasilien und erhoffen sich vor allem eines: mehr Wertschätzung für den Behindertensport.
4/4 Stefan Hähnlein, 26 Jahre, Sitzvolleyballer
Wenn man Paralympics live mitbekommt, dann ist das nochmal etwas ganz anderes“, erzählt Stefan Hähnlein, der BWL studiert und nebenher Sitzvolleyball spielt. Bei den Paralympischen Spielen 2012 in London erreichte sein Team den dritten Platz. „Für uns Behindertensportler ist der Trubel ein tolles Gefühl, wir sind um jeden Zuschauer dankbar“, sagt er.Als Stefan 13 Jahre alt war, musste sein Bein
amputiert werden. Die Ärzte fanden damals heraus, dass er
Knochenkrebs am rechten
Oberschenkel hatte. „Ich wollte aber weiterhin Ballsport betreiben, da ich vorher viel Basketball gespielt habe. Über ein Seminar kam ich auf Sitzvolleyball.“
In dem Verein, in dem er trainiert, spielen Sportler mit und ohne Behinderung gemeinsam in einem Team. Wenn sich ein Sportler zum Beispiel verletzt hat und während der Heilung weiter Sport treiben möchte, dann kann er das beim Sitzvolleyball tun. Es gibt aber auch Sportler, die wissen wollen, wie es ist, im Sitzen zu spielen. „Als Sitzvolleyballer muss man schneller reagieren, weil das Feld kleiner ist und das
Netz tiefer“, erklärt Stefan. Er findet es gut, wenn Menschen mit und ohne Behinderung zusammen Sport machen. Beim Profisport sieht er das allerdings anders. Paralympics und Olympia lassen sich nur schwer miteinander messen und sollten lieber „zwei verschiedene Paar Schuhe bleiben“, findet er. Stefan Hähnlein über den gemeinsamen Sport von Behinderten und Nichtbehinderten