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Stadt und Leben

Urlaubsregion Ahrtal – ein Jahr nach der Flutkatastrophe

Ein Mann sitzt in Arbeitskleidung auf einem Balken, der über einer zerstörten Straße liegt
Christian Lindner, „Villa Aurora“ | © Martin Gausmann

Das Ahrtal in Rheinland-Pfalz ist ein beliebtes Urlaubsgebiet und bekannt für seine Wander- und Radwege durch Weinberge oder entlang des Flusses Ahr. Im Juli 2021 zerstörte eine Flutwelle die gesamte Region und somit auch die touristische Infrastruktur. Wie ist die Lage in der Region und im Tourismus ein Jahr danach, wie geht es den Menschen dort?

„Wir hatten vorher noch nie Hochwasser“, sagt Kim aus Bad Neuenahr. Das Wasser kam in der Nacht. „Wir haben gehört, wie es in den Keller schoss . Es war wie ein Wasserfall. Richtig laut.“ Kim, ihre Schwester Saskia und die Eltern haben die Nacht im Obergeschoss ihres Hauses verbracht. Das haben auch der 16-jährige Jannis und seine Familie getan. „Erst morgens, als das Wasser gesunken war, konnten wir wieder raus“, sagt Jannis.

Jugendliche in heller Jacke und schwarzer Leggins sitzt im Sand am Strand Kim | © privat

Die drei Jugendlichen leben in der kleinen Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler am Flüsschen Ahr, einem idyllischen Ort – bis zu jener Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021. Da hatte Starkregen zu Überschwemmungen geführt und eine Flutwelle raste durchs Tal. Über einhundert Menschen starben, rund 750 wurden verletzt. Die Welle riss Autos und sogar Häuser mit sich , zerstörte Brücken, Straßen und mehrere Dörfer.

  • Zerstörte Häuser in Wasser und Schlamm
    © picture alliance/dpa | Boris Roessler (Ausschnitt)
  • Zerstörte Brücke umgeben von ebenfalls zerstörten Häusern
    picture alliance/dpa | Boris Roessler (Ausschnitt)
  • Eine Ursache der Flut ist der Klimawandel – darüber sind sich Fachleute einig. Sie sagen voraus, dass extreme Regenfälle und Überschwemmungen in Westeuropa zunehmen werden.

    Alltag nach der Flut – drei Jugendliche berichten

    Wie tausende andere Menschen im Tal mussten auch Kim, Saskia, Jannis und ihre Familien nach der Flutnacht aus ihren Häusern ausziehen. Sie brauchten eine temporäre Bleibe. „Wir hatten großes Glück, dass wir eine Wohnung in der Nähe gefunden haben“, sagt Jannis. „Viele Leute mussten weiter weg, weil es hier keine Wohnungen mehr gab.“ Auch die 16-jährige Kim, ihre 12-jährige Schwester Saskia und ihre Eltern wohnten einige Monate in einer Ferienwohnung im Ort.

    Jugendlicher in dunkelblauem T-Shirt steht vor einem Gartenhaus Jannis | © privat

    Jannis, wie hatte sich dein Leben nach der Flut verändert?

    Was hat dir in der schweren Zeit am meisten geholfen?

    Bekommst du etwas von den Touristen mit? Sind sie schon zurück?

    Die Flut hat auch den Schulalltag der drei Jugendlichen auf den Kopf gestellt . Die drei besuchen dasselbe Gymnasium, das direkt am Fluss liegt. Da das komplette Erdgeschoss zerstört war, mussten alle Schülerinnen und Schüler einige Monate in eine andere Schule im Ort gehen, die auf einem Hügel liegt und daher von der Flut verschont geblieben war. Unterricht hatten sie in dieser Zeit am Nachmittag, wenn der Unterricht für die Schülerinnen und Schüler dieser Schule zu Ende war. Ende November konnten sie in ihre eigene Schule zurückkehren. Zwar war das Erdgeschoss noch gesperrt, doch im ersten Stock und in den Containern, die auf dem Schulhof aufgestellt worden waren, konnte wieder Unterricht stattfinden. „Nachmittags fanden dann auch wieder AGs statt“, sagt Kim, die inzwischen auch wieder zu Hause wohnt.

    Kim, was hat dir in der schweren Zeit am meisten geholfen?

    Wie ist die Situation in der Stadt jetzt, ein Jahr nach der Flut?

    Bekommst du etwas von den Touristen mit? Sind sie schon zurück?

     
    Jugendliche in schwarzer Windjacke am Meer fotografiert Saskia | © privat

    Saskia, wie hatte sich dein Alltag nach der Flut verändert?

    Wie sieht es ein Jahr nach der Flut in eurer Stadt aus?

    Und ist dein Alltag mittlerweile wieder normal?

    Beliebte Tourismusregion Ahrtal

    Bis zur Flut war das Tal vor allem als Urlaubsregion bekannt, für die Weinberge und Weingüter , für die schönen Wander- und Radwege. Und für die Ahr, die ein kleiner Nebenarm des Rheins ist und die sich rund 80 Kilometer malerisch durch die sanft geschwungenen Weinberge schlängelt . Die Urlauber kommen aus ganz Deutschland, aber auch aus Belgien und den Niederlanden. Sie können auf Campingplätzen übernachten, in Jugendherbergen, Ferienwohnungen oder Hotels. Die Auswahl im Ahrtal ist groß.

    Nach der Flut war alles anders. Viele Unterkünfte waren zerstört oder wegen kaputter Straßen nicht zu erreichen. Das Hochwasser hat mehr als 80 Prozent der Hotels und Restaurants in der Region beschädigt. Viele müssen komplett renoviert oder neu gebaut werden. Eines dieser Hotels ist die „Villa Aurora“, ein Vier-Sterne-Hotel in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Da es direkt am Fluss liegt, stand das Wasser selbst im Hochparterre . „Die ganze Infrastruktur des Hotels ist zerstört“, sagt Eigentümer Christian Lindner.

    Herr Lindner, was hat die Flut in Ihrem Hotel zerstört?

    Wieder da – die Jugendherberge

    Die Jugendherberge in Bad Neuenahr-Ahrweiler war eine der ersten Unterkünfte, die nach starken Wasserschäden wieder geöffnet hat. Die Flut hatte das komplette Erdgeschoss samt Einrichtung zerstört: Gästezimmer, Bistro, Büroräume, Foyer und Rezeption. Wie überall im Tal mussten zuerst Berge von angeschwemmten Trümmern weggeräumt werden. „Wir hatten sehr viel Unterstützung von freiwilligen Helfern aus der Region und auch von weiter weg“, sagt Betriebsleiter Oliver Piel. Sogar ganze Schulklassen hätten geholfen. „Allein hätten wir es nicht geschafft, so schnell wieder auf die Beine zu kommen .“ Vier Monate nach der Flut öffneten sich die Türen wieder für die Gäste. Unter der Woche kommen in der Regel Schulklassen auf Klassenfahrt, an den Wochenenden Familien, Vereine und Gruppen. Doch nicht nur Piel und sein Team hatten viel Unterstützung. Die Hilfsbereitschaft nach der Flut war überwältigend . Aus dem ganzen Land kamen Menschen, um beim Aufräumen zu helfen.

  • Zerstörter Restaurantbereich voller Wasser und Schlamm
    © Die Jugendherbergen in Rheinland-Pfalz und im Saarland
  • Renoviertes, neues Bistro mit grünen und roten Stühlen
    © Die Jugendherbergen in Rheinland-Pfalz und im Saarland
  • Vier kleine Bilder als Collage zusammengestellt, die die zerstörten Innenräume sowie die neurenovierten Räume zeigen
    © Die Jugendherbergen in Rheinland-Pfalz und im Saarland
  • Ideen für nachhaltigen Tourismus

    Mit der Flut ist der Tourismus in der Region komplett zusammengebrochen. Nicht nur viele Unterkünfte und Restaurants waren zerstört, sondern auch Straßen, Brücken und Bahngleise . Ein großer Teil der Infrastruktur muss neu gebaut werden.

    „Es gibt verschiedene Gruppen, die diskutieren, wie es mit dem Tourismus in der Region weitergehen kann“, sagt Christian Lindner, der ehrenamtlicher Vorsitzender des Vereins Ahrtal-Tourismus ist. „Es gibt auch Ideen für nachhaltige Konzepte.“ Zum Beispiel könnte ein Teil der zerstörten Bahnstrecke durch eine Seilbahn ersetzt werden, so Lindner. „Eine Seilbahn ist nicht nur nachhaltig, sondern wäre auch eine neue touristische Attraktion.“ Konkrete Pläne gebe es aber nicht. „Im Landkreis und in der Landesregierung gibt es keine Ansprechperson dafür“, so Lindner. „Diese Ideen müssten erst einmal ausgearbeitet werden: Sind sie wirklich nachhaltig? Sind sie überhaupt umsetzbar? Das können wir nicht nebenbei im Ehrenamt erledigen.“

    Ein paar Ideen für mehr Nachhaltigkeit möchte er beim Hotel-Neubau umsetzen. Die Heizung soll zum Beispiel nicht mehr Öl und Gas verbrennen, sondern mit Fernwärme von einem regionalen Anbieter laufen, der auch erneuerbare Energien nutzt. Außerdem würde Christian Lindner gern eine Solaranlage installieren und damit das Schwimmbad sowie den Wellness-Bereich versorgen. „Das wäre schon sehr viel wert“, sagt er. Ob das alles klappt, sei aber noch unklar. Denn dafür bräuchte er finanzielle Unterstützung von der Regierung.

    Was Touristen jetzt schon unternehmen können

    Seit dem Frühling sind wieder einige Touristen in der Region. Einige Straßen sind bereits wiederhergestellt, die Bahn fährt teilweise wieder. Einige Hotels und Ferienwohnungen können wieder erreicht werden. „Viele Straßen sind noch nicht befahrbar oder sind große Baustellen“, sagt Christian Lindner. „Vieles ist im Moment provisorisch und wird es in den nächsten Jahren auch bleiben.“

    Herr Lindner, was können Touristen im Moment in der Region unternehmen?

     

    Zwar ist der beliebte Radweg noch nicht wiederhergestellt, andere touristische Highlights sind aber intakt, wie der Rotweinwanderweg, der durch die Weinberge führt und von der Flut nicht betroffen war. Auch den Fernwanderweg Ahrsteig können Gäste wieder nutzen. Hinzu kommen Weinverkostungen , kurze geführte Wanderungen und besondere Stadtführungen durch Bad Neuenahr und Ahrweiler, in denen es um den Wiederaufbau der Stadt geht.

    Die Schulklassen, die in der Jugendherberge übernachten, besuchen Orte, die gar nicht zerstört waren: die „Römervilla“, ein Museum über die Römerzeit, den Kletterpark oder die Dokumentationsstätte Regierungsbunker, ein ehemaliger Atombunker aus dem Kalten Krieg. Auch die Jugendherberge bietet verschiedene Aktivitäten an. „Unser Betrieb läuft jetzt wieder wie vor der Flut“, sagt Leiter Oliver Piel. Gerade sind fünf Schulklassen da, die Jugendherberge ist ausgebucht .

    die Flutwelle, die Flutwellen: hier: Wasser, das sich schnell bewegt und schnell hoch steigt
    schießen, schoss, ist geschossen: hier: Das Wasser kommt sehr schnell in den Keller und macht dabei Lärm.
    die Überschwemmung, die Überschwemmungen: das Wasser ist überall
    rasen: sich sehr schnell bewegen
    mit sich reißen, riss, hat gerissen: hier: Das Wasser hat so viel Kraft, dass es Dinge bewegt.
    mit sich reißen, riss, hat gerissen: hier: Das Wasser hat so viel Kraft, dass es Dinge bewegt.
    temporär: von der Zeit begrenzt
    etwas auf den Kopf stellen: Ordnung und Struktur auflösen; Unordnung herstellen
    verschont bleiben von: die negativen Folgen von etwas nicht erleben müssen
    verschont bleiben von: die negativen Folgen von etwas nicht erleben müssen
    die AG, die AGs: hier: Abkürzung für Arbeitsgemeinschaft; eine Gruppe, die sich nachmittags in der Schule trifft und sich mit einem bestimmten Thema beschäftigt wie zum Beispiel Theater, Computer oder Fotografieren.
    das Weingut, die Weingüter: ein landwirtschaftlicher Betrieb, der Wein anpflanzt
    der Nebenarm, die Nebenarme: ein kleiner Fluss, der mit einem größeren verbunden ist
    sich schlängeln: so, wie eine Schlange sich bewegt
    sanft geschwungen: hier: Berge, die nicht hoch und spitz sondern flach und rund sind
    sich schlängeln: so, wie eine Schlange sich bewegt
    das Hochparterre: ein Erdgeschoss, das ungefähr einen Meter über dem Boden liegt
    das Foyer: hier: die Eingangshalle des Hotels
    angeschwemmt: hat sich durch Wasser von einem Ort zu einem anderen bewegt
    die Trümmer (Pl.): die Reste von Dingen, die zerstört wurden
    wieder auf die Beine kommen: nachdem etwas Schlimmes passiert ist, mit neuer Kraft weitermachen
    überwältigend: viel größer, als man erwartet hätte; erstaunlich; fantastisch
    das Bahngleis, die Bahngleise: hier: die Schienen aus Metall, auf denen die Züge fahren
    ehrenamtlich/im Ehrenamt: eine Arbeit machen, ohne dafür Geld zu bekommen
    die Seilbahn, die Seilbahnen: eine Bahn, deren einzelne Kabinen an einem dicken Band aus Metall hängen und durch Strom gezogen werden
    die Fernwärme: Die Wärme wird nicht im eigenen Haus hergestellt sondern in einer zentralen Stelle und dann über Rohre in viele verschiedene Gebäude geleitet.
    die Weinverkostung, die Weinverkostungen: eine Veranstaltung, auf der man verschiedene Weine probieren kann
    die Dokumentationsstätte, die Dokumentationsstätten: das Museum
    ausgebucht: Es ist voll.; Es ist nichts mehr frei.