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Kultur und Musik

In die weite Welt – Auslandsaufenthalte im Trend

Die Figur eines Backpackers steht auf einem Globus
© picture alliance / dpa Themendienst

Viele junge Deutsche verbringen eine gewisse Zeit im Ausland – auch, weil sie sich davon berufliche Vorteile erhoffen. Vor allem aber bringt das viele neue Erfahrungen und stärkt die Persönlichkeit.

Zwei Jahre war Jacob Düwel in Australien. Ganz spontan hatte der Jura-Student nach dem vierten Semester seinen Rucksack gepackt und flog nach Sydney. „Ich wollte das Land sehen, arbeiten und viele Leute kennenlernen“, sagt der 25-Jährige jetzt. Mit seinem Auslandsaufenthalt liegt Jacob voll im Trend: Immer mehr junge Deutsche gehen nach der Schule, im oder nach dem Studium ins Ausland. Sie bleiben allerdings nicht zwei Jahre fort, sondern höchstens eins. Sie wollen die Welt sehen, eine neue Kultur kennenlernen und erhoffen sich Vorteile bei der Bewerbung. Wer später einen guten Job möchte, braucht Auslandserfahrung und interkulturelle Kompetenz – so klingt es auf jeder Jobmesse und steht es in jeder Broschüre zur Karriereberatung.

Work & Travel

In die weite Welt Jacob Düwel | © Katja Hanke

An seine berufliche Laufbahn hat Jacob nicht gedacht, als er sich damals das „Working Holiday“-Visum bei der australischen Botschaft besorgte. Deutsche unter 30 Jahren dürfen damit ein Jahr im Land reisen und arbeiten. Neben Neuseeland und Kanada ist Australien ein klassisches Work & Travel-Ziel. Die Jobs hat er sich in Australien selbst gesucht. Tipps bekam er von anderen, die genauso wie er durchs Land reisten und arbeiteten. Jacob hat sich ein altes Auto gekauft, ist kreuz und quer durchs Land gefahren, hat in Restaurants und Kneipen gearbeitet, Mangos geerntet, in einer Fabrik Fässer gestapelt und auf einer Farm Tiere versorgt. „Ich habe Leute aus der ganzen Welt kennengelernt“, sagt er, „und bin dadurch viel toleranter geworden“.

Was war das Wichtigste für dich an deiner Zeit in Australien?

Was hat deine Zeit im Ausland dir fürs Studium momentan gebracht?

Was glaubst du, bringt dir der Aufenthalt später für den Beruf?

 

Das Auslandsschuljahr – schon jung ins Ausland

Neben der Kombination von Jobben und Reisen gibt es noch andere Möglichkeiten für einen Auslandsaufenthalt, zum Beispiel einen Schüleraustausch oder Freiwilligendienst , als Au-Pair , ein Praktikum oder Auslandssemester. Die früheste Möglichkeit ist ein Auslandsschuljahr. Rund 15.000 deutsche Schüler haben das Schuljahr 2012/2013 im Ausland verbracht, die meisten in englischsprachigen Ländern. Die Schüler leben in dieser Zeit in Gastfamilien. „Die Gründe, warum schon Jugendliche ins Ausland gehen wollen, sind seit Jahrzehnten gleich“, sagt Mick Petersmann, Geschäftsführer von AFS Interkulturelle Begegnungen e.V., einem gemeinnützigen Verein, der seit über 60 Jahren Schüleraustausch organisiert. „Sie möchten eine andere Kultur kennenlernen, sich persönlich weiterentwickeln und eine neue Sprache lernen.“ Nach der Rückkehr, berichtet Petersmann, fühlen sich die meisten selbstständiger, selbstbewusster und interessieren sich mehr für andere Kulturen als vorher. Allerdings sind die Teilnehmerzahlen in den letzten Jahren gesunken. „Sie sind mit der Einführung von G8 im Jahr 2008 um zehn Prozent eingebrochen und haben sich nicht mehr erholt“, sagt er.

Die Welt sehen und helfen

Stark zugenommen hätte dagegen das Interesse an Freiwilligendiensten. Auch die vermittelt AFS, im Rahmen des Programmes „weltwärts“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Bewerben können sich Personen zwischen 18 und 28 Jahren. Die Freiwilligen arbeiten in Entwicklungshilfe-Projekten auf der ganzen Welt, vor allem aber in Lateinamerika und Afrika. Besonders beliebt ist „weltwärts“ bei Abiturienten. Die möchten vor dem Studium etwas von der Welt sehen und gleichzeitig helfen. Rund 5.000 junge Deutsche entsendet das Programm jedes Jahr. Aus Befragungen weiß Mick Petersmann, dass der Einsatz aber vor allem den Freiwilligen etwas bringt. Sie sammeln wertvolle persönliche Erfahrungen, das Gefühl, wirksam zu helfen, haben nur wenige. Und genau das wird am Freiwilligendienst kritisiert: nicht wirklich sinnvoll, mehr Selbstfindung als Hilfe, die Teilnehmer zu jung und unerfahren. Doch das ändert sich langsam: Durch die neuen Bachelor- und Master-Abschlüsse gibt es eine neue Möglichkeit für eine Auszeit. Anders als früher ist das Studium jetzt in zwei Abschnitte unterteilt. Zwischen beiden lässt sich gut ein Jahr im Ausland einlegen.

Studieren im Ausland

Studierende sind besonders „auslandsmobil“. Fast 40 Prozent gehen ins Ausland: für einen Sprachkurs, ein Praktikum oder ein Auslandssemester. Die meisten verbringen ein Semester mit ERASMUS an einer europäischen Hochschule. „Seit der Gründung 1987 sind die Teilnehmerzahlen stetig gestiegen“, sagt Claudius Habbich vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Über 30.000 Studierende nutzen ERASMUS jedes Jahr.Den Hauptgewinn eines Auslandsaufenthaltes sieht Claudius Habbich in der Persönlichkeitsentwicklung. „Wir wissen von Personalern, dass sie neben der fachlichen Qualifikation auch Wert auf Persönlichkeit und interkulturelle Erfahrung legen.“ Da geht es um sogenannte Soft Skills, die der Karriere zugute kommen sollen: Fremdsprachenkenntnisse, Toleranz, Flexibilität, Selbstständigkeit.

Die komplette Verantwortung übernehmen

Auch Jacob hofft, dass Personalchefs seine Work & Travel-Erfahrung im Lebenslauf schätzen werden. „Ich habe in dieser Zeit meine Persönlichkeit gefestigt und viel über mich herausgefunden“, sagt er. Er hat alles selbst geregelt und auf diese Weise besonders viel gelernt. Er hätte seinen Work & Travel-Aufenthalt auch über einen Anbieter buchen können. Das hätte ihn rund 2.000 Euro gekostet und er hätte sich nicht um Flug, Visum, Unterkunft und Jobangebote kümmern müssen. Auch Au-Pair-Aufenthalte, Freiwilligendienste und sogar Praktika kann man über kommerzielle Anbieter regeln. Sie bieten die Auslandserfahrung wie eine Pauschalreise an: Sie holen die Teilnehmer vom Flughafen ab, organisieren die Unterkünfte und Jobs und nehmen sie am Ende des Aufenthalts auf eine Rundreise durchs Land. Jacob wollte unabhängig sein und sich selbst behaupten. Seine wichtigste Erfahrung in der Zeit? „Ich musste komplett die Verantwortung für mich übernehmen“, sagt er. „Wenn ich kein Geld mehr hatte, musste ich neues verdienen und konnte erst dann weiterreisen.“

Sich von anderen abheben

Entgegen der Erwartung vieler junger Menschen, ist ein Auslandsaufenthalt jedoch kein Garant für einen guten Job. Das stellte eine Studie des Hochschul-Informations-Systems HIS von 2012 fest. Darin verglich man den beruflichen Erfolg von Hochschulabsolventen, die 2005 ihren Abschluss gemacht hatten. Das überraschende Ergebnis: Ein Auslandsstudium oder Praktikum im Ausland hat keinen Einfluss darauf, ob jemand arbeitslos ist oder nicht. Auch das Einkommen der Auslandserfahrenen unterscheidet sich nicht groß von denen, die nicht im Ausland waren. Das ist eine ernüchternde Erkenntnis, hatten doch 70 Prozent der international erfahrenen Absolventen erwartet, dass der Aufenthalt ihre berufliche Perspektive verbessern würde. In Einzelfällen kann er das natürlich auch: Wer zum Beispiel in einem Land studiert, in dem der zukünftige Arbeitgeber auch aktiv ist, bringt schon wertvolle Kenntnisse über das Land mit. Außerdem hängt die Wichtigkeit der Auslandserfahrung von der Branche und dem individuellen Job ab: Wer bei den Stadtwerken arbeitet, wird keine interkulturelle Kompetenz benötigen, in einem multinationalen Unternehmen kann sie dagegen von Vorteil sein. Berufliche Vorteile hin oder her: Auch, wer anfangs nur deshalb ins Ausland geht, wird mit großer Wahrscheinlichkeit zurückkommen und die vielen Erlebnisse, Kontakte und Erfahrungen nicht missen wollen.

spontan: einem inneren Impuls folgen, ohne darüber nachzudenken
etwas oder jemand liegt im Trend: etwas oder jemand ist sehr populär
etwas oder jemand liegt im Trend: etwas oder jemand ist sehr populär
die interkulturelle Kompetenz: die Fähigkeit, mit Personen aus anderen Kulturen richtig umzugehen und erfolgreich mit ihnen zu kommunizieren
die Jobmesse, die Jobmessen: eine Ausstellung, auf der sich potentielle Arbeitgeber vorstellen
die berufliche Laufbahn: die Karriere
Work & Travel: ein Visum, mit dem junge Deutsche in bestimmten Ländern ein ganzes Jahr lang reisen und auch arbeiten dürfen
kreuz und quer: hin und her; hier: in alle Richtungen
die Mango, die Mangos: eine tropische Frucht
Fässer stapeln: Tonnen übereinander setzen
der Freiwilligendienst, die Freiwilligendienste: Menschen arbeiten für eine bestimmte Zeit (meist in sozialen Projekten) ohne Geld dafür zu erhalten
der oder die Au-pair, die Au-pairs: junge Leute gehen, meist nach der Schule, in ein anderes Land, leben dort in einer Familie und passen auf die Kinder auf. Für Unterkunft und Essen bezahlen sie nichts. Sie verdienen auch ein bisschen Geld. Nebenbei lernen sie die Sprache des Landes.
der gemeinnützige Verein, die gemeinnützigen Vereine: eine Organisation, die für ein bestimmtes Ziel arbeitet und keinen finanziellen Gewinn machen möchte
G8: das Abitur nach acht Jahren auf dem Gymnasium machen, also nach Klasse 12. Die G8-Reform verkürzte die Schulzeit an Gymnasien von neun auf acht Jahre. Doch das stieß auf großen Widerstand bei Eltern und Schülerinnen und Schülern, die sich über einen zu hohen Leistungsdruck und eine zu große Belastung beschwerten. Durch die Reform mussten die Schülerinnen und Schüler in weniger Zeit gleich viel Unterrichtsstoff lernen. Im Schuljahr 2013/14 sind viele Bundesländer wieder zu neun Jahren zurückgekehrt.
einbrechen: hier: zurückgehen; nach unten gehen
die Entwicklungshilfe: staatliche Programme (meist reicher Länder), die die wirtschaftliche, politische und soziale Situation in ärmeren Ländern verbessern sollen
wirksam helfen: nicht nur die Situation einzelner Menschen verbessern, sondern auch einen positiven Einfluss auf die allgemeine Situation haben
die Bachelor- und Master-Abschlüsse: Abschlüsse an der Universität nach dem internationalen System von Bachelor und Master. Für den Bachelor studiert man in der Regel drei Jahre und für den Master zwei weitere. Früher schloss man das Studium erst nach vier oder fünf Jahren mit einem Magister oder Diplom ab.
die Auszeit: die Pause; hier: Für eine bestimmte Zeit das Studium unterbrechen und etwas anderes machen.
ERASMUS: ein Programm der Europäischen Union, das Studierenden und anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Hochschulen (z.B. Dozenten) ermöglicht, im Ausland zu lernen und zu arbeiten. Es soll die Mobilität von Studierenden und Dozenten innerhalb Europas fördern.
der Personaler, die Personaler: der Personalchef/die Personalchefin; die Person, die in einem Unternehmen dafür verantwortlich ist, neue Mitarbeiter einzustellen
Soft Skills (engl.): individuelle Fähigkeiten, die sich nicht auf das Fach beziehen, sondern die Persönlichkeit ausmachen
der kommerzielle Anbieter, die kommerziellen Anbieter: Firmen, die Geld damit verdienen, Auslandsaufenthalte zu vermitteln
die Pauschalreise, die Pauschalreisen: eine Reise, bei der alles (Fahrt, Unterkunft und Verpflegung) für die Kunden organisiert wird. Die Kunden bezahlen einen Gesamtbetrag und müssen sich um nichts kümmern.
sich selbst behaupten: sich bewähren; sich selbst beweisen, dass man etwas kann
ein Garant für etwas sein: sicher sein; hier: Ein Auslandsaufenthalt führt nicht automatisch dazu, dass man auch einen guten Job bekommt.
das Einkommen, die Einkommen: das Geld, das eine Person verdient
die ernüchternde Erkenntnis: das enttäuschende Ergebnis
das Stadtwerk, die Stadtwerke: Unternehmen, die einer Stadt gehören und für die Versorgung in der Stadt – zum Beispiel mit Strom, Gas und Wasser – zuständig sind
multinational: in mehreren Ländern tätig